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Rede von Ramazan Kuruyüz, des Vorsitzenden der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen/IRH beim Opferfestempfang in Aßlar-Werdorf am 23. Januar 2005
Sehr geehrter Herr Bürgermeister der Stadt Aßlar, Verehrte Vertreterinnen und Vertreter der islamischen Gemeinden, Kirchen und Vereine, Meine sehr verehrten Damen und Herren, Liebe Schwestern, Brüder, Freunde, Nachbarn, Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Im Namen der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen heiße ich Sie alle herzlich willkommen. Wir freuen uns sehr, heute hier auf diesem Gelände in Aßlar-Werdorf gemeinsam mit Ihnen –unseren muslimischen, evangelischen, katholischen und andersgläubigen Schwestern, Brüdern, Freunden und Nachbarn- unser Opferfest feiern zu dürfen. Dafür danke ich Familie Altinküpe recht herzlich. Herzlich danke ich auch allen unseren Gemeindemitgliedern, die die heutige gemeinsame Feier für uns alle organisiert, vorbereitet und gestaltet haben.
Weltweit und auch hier in Deutschland feiern wir Muslime seit Donnerstag unser Opferfest. Heute ist der letzte Festtag. Das Opferfest (arabisch „Eid al Adha“ oder türkisch „Kurban Bayrami“) währt vier Tage. Am frühen Morgen des ersten Tages versammelt sich die Gemeinde in der Moschee für ein spezielles Festgebet. Danach stehen das rituelle Schächten eines Opfertieres und die sozialen Werte im Mittelpunkt. Muslime, ob Frau oder Mann, die finanziell in der Lage sind, sollen ein Opfertier schächten bzw. schächten lassen. Das Opferfleisch soll auch einen sozialen Auftrag erfüllen: Das freiwillige Teilen mit Verwandten und Nachbarn, insbesondere Bedürftigen. Das bedeutet auch, sie mit versorgen, mit einladen, mit ihnen gemeinsam gedenken und feiern. Somit werden familiäre, verwandtschaftliche, freundschaftliche, nachbarschaftliche, humanitäre und soziale Kontakte und Werte gestärkt, erweitert und gepflegt.
Das Opferfest geschieht in Erinnerung an den Propheten Ibrahim bzw. Abraham, der durch Gott in besonderer Weise geprüft wurde. Das beispiellose Gottvertrauen von ihm und seines Sohnes bestätigte sich. Das dem Propheten durch ein Traumgesicht abverlangte Sohnesopfer wurde durch ein Tieropfer ersetzt, nachdem Vater und Sohn Bereitschaft gezeigt hatten dieses zu vollbringen. Diese Geschichte lehrt uns, dass Abraham und sein Sohn bereit waren, Gott zu vertrauen, selbst wenn es darum ging, das Kostbarste, das Liebste zu geben und zu opfern.
In allen drei Schriftreligionen steht dieses Ereignis an zentraler Stelle. Juden, Christen und Muslime berufen sich auf ihren Stammvater Abraham. Gotthold Ephraim Lessing (geb. 1729 / gest. 1781), einer der wichtigsten deutschen Dichter der Aufklärung, der Epoche zwischen 1720 – 1785, hebt in seinem weltweit bekannten Werk „Nathan der Weise“ durch einen Ringparabel diesen gleichen und gemeinsamen Ursprung des Judentums, des Christentums und des Islams hervor. Er fordert damit Juden, Christen und Muslime auf, sich auf ihren Stammvater Abraham zu besinnen und miteinander in diesem Sinne umzugehen; als Kinder Abrahams und somit als Geschwister.
Zweifelsfrei bildet das Streben nach Gerechtigkeit und Frieden und in diesem Sinne die Bewahrung und der Schutz der Rechte der Menschen den Kern der Botschaft der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam. Dieser Wert bleibt unberührt, selbst dann, wenn er immer wieder von Anhängern jeder dieser Religionen verletzt wurde und wird. Es ist die Aufgabe von allen verantwortungsbewussten Juden, Christen und Muslimen, sich gegenseitig im Sinne der Verwirklichung der Verantwortung für den Frieden hier in unserem Land und in der Welt zu bestärken, statt die Verletzung dieser Werte zum Anlass für neue Streitigkeiten zu nehmen. Ansätze für diese gemeinsame Verantwortung gibt es zahlreich in den Schriften unserer Religionen. Es gibt keinen Frieden in der Welt, ohne den bewussten Einsatz der Anhänger der großen Religionen für den Weltfrieden.
Die Jahrhundertkatastrophe in Südostasien hat uns alle noch einmal belehrt, dass wir alle Menschen, egal welcher Nationalität, Hautfarbe und Religionszugehörigkeit, zu der einen Weltgemeinschaft angehören. Egal ob wir in Europa oder in Asien leben, sind wir auf der selben Erde. Die Naturkatastrophen kennen keine Grenzen; weder geographisch noch sozialpolitisch oder kulturell. Wir alle, ob weiß oder schwarz, ob Muslim, Christ, Jude, Hindu, Budist oder andersgläubig, ob europäisch oder asiatisch, ob reich oder arm, sind davon betroffen. Allah, Gott der Allmächtige, belehrt uns alle durch Katastrophen diesbezüglich bestens. Gegen Naturkatastrophen sind wir alle schwach und hilflos. Wir alle sind voneinander abhängig und brauchen uns gegenseitig. Nur in gegenseitiger Unterstützung und der einheitlichen Solidarität der Weltgemeinschaft sind wir stärker.
Für die Gläubigen sind all diese Katastrophen eine Prüfung für die Menschen. Allah, Gott der Gerechte, prüft uns auch durch Unglück. Die Erde bebt, laut Koran, nur nach dem Willen Allahs, Gottes des Herrschenden und des Bestimmenden. Im Unglück steckt Glück. Für die Gläubigen sind Lehren hinter und in jedem Unglück zu ziehen. Das Leben auf dieser Erde ist für die Gläubigen nur ein kurzer Teil von der ewigen Reise des Menschen; der Mensch hält sich als Gast nur vorübergehend auf dieser Erde auf und wird von seinem Schöpfer zur Prüfung gestellt. Das Leben mit all seinen Versionen, mit Glück und Unglück, stellt eine harte Prüfung für den Menschen dar. Selbst der Tod ist für die Gläubigen ein Teil dieser Prüfung. Der Tod ist nur das Ende des Lebens auf dieser Erde, aber das Tor und die Brücke ins ewige Leben. Der Tod, der uns zwar von unseren Liebenden, Familien, Verwandten und Freunden in diesem Leben trennt und somit unbarmherzig zu sein scheint, ist aber an sich und mit seinen Folgen eine Gnade Allahs, Gottes des Barmherzigen und des Gnädigen. Letzten Endes gehen wir alle, ob jung oder alt, über dieses Tor ins ewige Leben, zum eigentlichen Ziel dieser ewigen Reise, wo wir uns alle wieder sehen und treffen werden.
In und hinter jedem Unglück steckt die Gnade Allahs, Gott des Gerechten, die wir nicht immer begreifen können. Allah, Gott der Allwissende und der Rechtleitende, belehrt und erzieht uns auch und insbesondere durch solche Katastrophen, dass das Leben und alles auf dieser Erde nur vergänglich sind und dass wir uns wegen der vergänglichen Sachen nicht gegenseitig kämpfen und vernichten sollen. Unser Leben, unsere Macht, unser Hab und Gut sind alles vergänglich. Alles, was wir besitzen, verlässt uns irgendwann und irgendwie oder wir verlassen alles, indem wir sterben.
Wozu denn sind all diese Kriege in der Welt? Wozu denn sind all diese gegenseitigen Vernichtungen der Menschen? Wozu denn sind all diese gegenseitigen Verachtungen und Ablehnungen unter Menschen? Worum kämpfen wir uns gegenseitig? Was können wir auf dieser Erde nicht gerecht und geschwisterlich miteinander teilen?
Wer seine Macht durch die Ausbeutung der Schwachen und durch ungerechtes Vermehren seines Habs und Guts ausbaut, darf nicht vergessen, dass auch seine Macht nicht ewig bleibt.
Wenn all die Milliarden Dollars und Euros nicht für die Erweiterung der Macht, die Massenvernichtungswaffen, die Kriegszwecke und die Vernichtung bzw. die Zerstörung des menschlichen Lebens ausgegeben würden, sondern für das Erhalten und die Verbesserung des menschlichen Lebens und der Schöpfung und die Bekämpfung der Armut, dann hätten wir bestimmt eine schönere und friedlichere Welt. So hätten wir die Folgen der Naturkatastrophen besser bewältigen und den Schaden dadurch wirksamer beschränken können. Diese Jahrhundertkatastrophe belehrt uns alle diesbezüglich nochmals bestens.
Im Unglück erleben wir zugleich Glück. Seit Tagen erleben wir eine einheitliche Weltgemeinschaft; Menschen und Völker weltweit zeigen ihre Solidarität und geben reichlich Spenden für die Opfer der Flutkatastrophe, zahlreiche Hilfsorganisationen aus allen Teilen der Welt sind vor Ort, um den Opfern und den Überlebenden zu helfen, Staaten und Regierungen aller Länder kooperieren für die Hilfe in betroffenen Ländern. Die ganze Weltgemeinschaft ist zu einer Familie geworden. Mitgefühl, Liebe, Barmherzigkeit, Solidarität, Teilen, Geben und Spenden sind zu Markenzeichen der Menschheit geworden. So ist auch der Wille Allahs. Unser Schöpfer erwartet von uns allen einen solchen liebevollen und solidarischen Umgang miteinander.
Auch hier in unserem Land Deutschland sind wir zu einer Familie gemeinsam mit der Weltgemeinschaft geworden. Wir haben seit Tagen unsere alltäglichen Probleme vergessen, unsere meist sinnlosen Konfrontationen und Streitigkeiten beiseite gelegt und treten alle gemeinsam für die Opfer in Südostasien ein. Wir sind eine Familie und eine Gemeinschaft in Werdorf, in Aßlar, in Hessen und in Deutschland, mit all unseren Gemeinsamkeiten und Unterschieden; egal, ob die einen von uns zur Mehrheit oder Minderheit angehören, ob wir Muslime, Christen oder Andersgläubige sind, ob wir türkischer, deutscher oder anderer Herkunft sind, ob wir oder unsere Generationen seit Jahrzehnten und -hunderten oder nur seit einiger Zeit hier leben. Wir alle hier in unserem Land sind eine Familie und eine Gemeinschaft. Seit Jahrhunderten oder –zehnten oder einiger Zeit und aus unterschiedlichen Gründen und Anlässen leben wir hier in Deutschland. Deutschland ist zum Land und Lebensmittelpunkt von uns allen geworden. Das Wohl unseres Landes ist auch unser Wohl und zum Wohl unseres Landes beizutragen, ist unsere gemeinsame Verantwortung.
Vor zwei Monaten haben wir Muslime unseren Fastenmonat Ramadan erlebt, unsere christlichen Mitbürger und Familienmitglieder ihr Weihnachten und heute feiern wir Muslime mit Ihnen gemeinsam unser Opferfest, das Abrahamische Fest. All diese Feste sind gekennzeichnet mit Liebe, Zuneigung, Barmherzigkeit, Frieden, Solidarität, Helfen, Teilen und Spenden. All diese Motive und Merkmale sind Botschaften und Lehren unserer Religionen. Allah, Gott der Barmherzige und der Liebende, will, dass wir uns immer mit Barmherzigkeit und Liebe begegnen und miteinander umgehen, nicht nur an unseren Festtagen. Allah, Gott der Schöpfer, der uns mit all unseren Unterschieden in Vielfalt und als eine Bereicherung geschaffen hat, will, dass wir uns gegenseitig respektieren und anerkennen, uns gegenseitig nicht ausgrenzen und nicht ungerecht behandeln. Wir sind eine Familie und eine Gemeinschaft in Deutschland genauso wie in der ganzen Welt.
Das Jahr 2004 ist mit einem Unglück, einer Jahrhundertkatastrophe, zu Ende gegangen. Es wird bestimmt Jahrzehnte lang in unseren Erinnerungen bleiben. Das neue Jahr 2005 hat mit einem Glück durch ein Unglück begonnen. Das Unglück, diese gewaltige Flutkatastrophe, hat uns alle noch mehr vereint und näher zusammengebracht und uns alle wieder an unsere eigentlichen guten menschlichen Werte erinnert. Möge Gott unsere jetzige liebevolle, friedfertige, einheitliche, solidarische und familiäre Gemeinschaft hier in unserem Land und in der ganzen Welt in diesem neuen Jahr und für immer bewahren!
Zum Schluss wünsche ich allen Muslimen ein gesegnetes Opferfest und uns allen ein friedliches neues Jahr.
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